Wir müssen Abschied nehmen und tun dies mit der Rede von Dr. Christian Knoche für „Die Bühne, Theatergruppe Hofgeismar“ anläßlich der Trauerfeier von Christiane Hancken am 02. September 2016 in Liebenau-Haueda
Aus den Reihen der Theatergruppe „Die Bühne“ Hofgeismar, der Tina über mehr als vier Jahrzehnte angehörte, bin ich benannt, einige Worte zu finden und hier sagen zu dürfen. Und so tue ich das mit meiner Traurigkeit in Erinnerung an sie:
„Sehen wir doch das Große aller Zeiten auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sinnvoll still an uns vorübergehen.“
Das schreibt Friedrich Schiller 1803 in seinem Gedicht „An die Freunde“. Davon beeindruckt war es eines von Tinas Lebenswerken, mehr noch, ein zentraler Lebensinhalt, diesen berühmten Satz mit ihrem herausragenden schauspielerischen Können auszufüllen: „Auf den Brettern, die die Welt bedeuten“.
Wir verneigen uns mit großem Ehrerbieten, dazu voller Traurigkeit über ihren Tod, ja immer noch jäh erschrocken über diese Plötzlichkeit, aber schlußendlich für ihre Lebensleistung und ihre Freundschaft in großer Dankbarkeit vor ihr. Wir verneigen wir uns vor:
Christiane Hancken,
unserer Tina,
unserer „Grande Dame“ der „Bühne Hofgeismar“.
Es war diese Dialektik des Theaters, die Tina auf der Bühne in erstaunlicher Weise lebte. Es waren diese Gegensätzlichkeiten der Dinge, die sich ständig wandelnde Welt und der Rollen, geprägt von der Auseinandersetzung der Gegensätze, der ewige Widerspruch der Polaritäten. Und es war aber auch ihre Sehnsucht nach tieferliegender verborgener Einheit, das Zusammengehören des Verschiedenen. So vielleicht lässt sich Tinas Einstellung zum Theaterspiel in der Gruppe umschreiben.
Sie spielte ihre Rollen, fast immer waren es Hauptrollen, brillant. „Ich brauche das wie eine Therapie“, sagte sie mir einmal hinter der Bühne.
Mit der Geschworenen Nr. 8 war es bezeichnenderweise Tina, die in dem Stück „Die 12 Geschworenen“ 2013 in einer der Hauptrollen den gerichtlichen Diskurs um Widersprüchlichkeiten eröffnete. Erinnerung an ihre Textpassage:
„Ich weiß nur, dass dieser Junge sein ganzes Leben herumgestoßen wurde. Er ist in einem Elendsviertel aufgewachsen, hat früh die Mutter verloren. (…). Er ist verbittert. (…). Und deshalb – denke ich – schulden wir ihm ein paar Worte. Das ist alles“.
Solche Texte passten zu Tina. Sie spielte sie aus, in Nachdenklichkeit, mit Kraft und besonderer Konzentration, bereits in den Proben. „Spannung halten, konzentriert Euch, können wir anfangen“. Es war für sie nie bloße Nebensache.
Die Liste ihrer Rollen schon vor 1980 ist lang, die allerlängste Liste der Rollen in der über 40-jährigen Geschichte der „Bühne Hofgeismar“. Ich beschränke mich auf nur wenige, aber so treffliche Beispiele:
1987 war sie das Dienstmädchen in Molieres „Der „Eingebildete Kranke“ als überzeugender Gegenpol zum kranken Argan, damals gespielt von Jochen Hass. Auch hier war es offenbar wieder die Dialektik, die Tina liebte.
In einer Theaterkritik 1991 zu dem Stück „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“ heißt es: „Die temperamentvolle Martha, dargestellt von Tina Hancken mit ihrem ausdrucksstarken Monolog (…) – artistisch improvisiert und erfolgreich aufgeführt“. Ja, sie konnte das ohne Ausnahmen perfekt. Sie liebte diese Rollen der Frauen mit so unterschiedlichen Charakteren.
Als „Claire Zachanassian“ im Jahr 2000 in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, welch ein famoses Auftreten präsentierte sie uns mit dieser so schwierigen Rolle zusammen mit Klaus Hass. Beeindruckend ihr Humor bei überraschenden Pannen: Anlässlich der Premiere zerriss in einer der Schlüsselszenen die Perlenkette, die sie als „Grand Dame“ Claire Zachanassian trug. Ihre spontane Reaktion zum Butler: „Bobby, ein neues Geschmeide bitte“, für mich seltsam unvergessen, ganz so wie erst gestern gesagt, dann lange „geflügeltes Wort“.
Dann wieder war sie 2009 streitsuchend Frau Marthe Rull wegen eines „zerbrochenen Kruges“, erneut brillant gespielt und gereimt in der alten und schwierigen Sprache von Heinrich von Kleist.
Es bedarf einer umfangreichen Biographie, die es lohnt zu schreiben, um von ihrem Talent und der Vielfalt ihrer Rollen mit all den Gegensätzlichkeiten zu berichten. Tina setzte sie immer authentisch um, dazu mit einem Drang nach Perfektionismus in beeindruckender Weise, im Drama und im Gegensatz zu den ernsten Rollen auch in ihren fröhlich-verrückten Auftritten.
Unvergessen der Dialog der überdrehten Schriftstellerin Josefine Zillertal mit Phillip Klapproth (Gutsbesitzer aus Kyritz) in „Pension Schöller“ 2011. Es gab ihn tatsächlich den berühmten Cognac im Stück und den angeheiterten Satz von Josefine: „Die Schilderung der Seelenzustände gibt ein prächtiges Kapitel“.
Das waren wunderbare Proben. Das waren wunderbare Auftritte.
Es waren diese schwierigen, widersprüchlichen und mitunter verrückten Rollen, die sie liebte und ausspielen konnte.
Und es war dann vor nicht einmal 6 Wochen im Sommernachtstraum, dass Tina als verzauberte Titania dem Zettel mit der Eselmaske ein letztes Mal zurufen sollte: „Ach, wie ich Dich liebe“. Für diesen Ausruf steht sinnbildlich die Gewißheit: Tina liebte das Theater. Tina liebte die Bühne. Und wir, wir haben sie für immer mit Liebe als unsere Weggefährtin, als Freundin in unsere Herzen geschlossen.
Ja Königin, wir sehen Dich gehen. Wir sehen die Seele ziehen mit Bedacht. Mit dem Schatten einer Nacht. Kreisen um den Erdball dann. Schneller als der Mond es kann.
Tina Hancken hinterläßt für uns alle eine tiefe Lücke. Aber Tina Hancken hinterläßt uns auch ganz besonders wertvolle Erinnerungen, die blinken wie Diamanten und leuchten wie die Blumen.
Danke für alles, Elfenkönigin